Interview mit den Gästen aus der Universitätsbibliothek Bayreuth in Lwiw

In der zweiten Februarwoche durften wir Wiltrud Toussaint und Julia Walz aus der Abteilung „Digitale Dienste“ der Universitätsbibliothek Bayreuth in Lwiw begrüßen. Auch wenn Sturm „Sabine“ die Anreise um einen halben Tag verzögert hatte, ergab sich ein umfangreicher und intensiver Austausch, in dessen Zentrum die Wissenschaftliche Bibliothek der Nationalen Iwan-Franko-Universität stand.

Was sind Ihre persönlichen Eindrücke von dem Aufenthalt in Lwiw und an der Wissenschaftlichen Bibliothek der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw?

Wiltrud Toussaint: Lwiw ist eine hochinteressante dynamische Stadt mit einer wechselvollen Geschichte. Die verschiedenen Regierungen hinterließen ihre Spuren in positiver aber leider auch in negativer Weise. Als positiv habe ich die kulturelle und kulinarische Vielfalt empfunden, vor allem die ideenreiche Gestaltung von Cafés – ein äußerst geschmackvolles Nebeneinander von modernem Design und alter Bausubstanz. Als schade habe ich empfunden, dass nach dem Zweiten Weltkrieg viel Bausubstanz an Gebäuden und Kirchen nicht gepflegt wurde bzw. gepflegt werden konnte.

Die kyrillische Schrift (lesen wie ein Schulkind in der ersten Klasse) und die ukrainische Währung (hohe Zahlen) stellten mich täglich vor neue Herausforderungen.

Die Wissenschaftliche Bibliothek der Nationalen Iwan-Franko-Universität Lwiw hat mich persönlich durch die wechselvolle und bis ins 17. Jahrhundert zurückreichende Geschichte fasziniert. Die wunderschön illustrierten Inkunabeln in lateinischer oder kyrillischer Schrift waren für mich, die an einer jungen Universitätsbibliothek arbeitet, ein ganz besonderer Leckerbissen. Ebenso beeindruckend war das Gebäude mit dem historischen Lesesaal.

Die wechselvolle Geschichte der Region findet sich auch in der Bibliothek wieder. Bestände mussten auf Befehl der Machthaber „gereinigt“ werden, was – entweder entsorgen oder für die Benutzung sperren – bedeutet hat. Daher ist es im Moment für das Bibliothekspersonal eine große Aufgabe, die Bestände zu sichten und Bibliografien zu bestimmten Themen zu erstellen.

Julia Walz: Ich habe die Ukraine als ein Land erlebt, das sich schnell  und umfassend reformieren möchte und dabei entschlossen ist, weiter voranzukommen. Dies bringt eine dynamische und erfrischende Aufbruchsstimmung mit, die ich in Deutschland etwas vermisse. Die Menschen, die ich in Lwiw kennenlernen durfte, waren alle außerordentlich engagiert, aus den (vergleichsweise) wenigen Mitteln die ihnen zur Verfügung stehen, das Ideale und Bestmögliche zu schaffen. Beeindruckender Weise auch sehr erfolgreich. Lwiw selbst empfand ich als sehr lebenswerte Stadt, mit einem reichhaltigen kulturellen Angebot und den vielen „fancy“ Restaurants und Bars. Ebenfalls sehr begeistert war ich vom öffentlichen Nahverkehr in Lwiw. Die niedrigen Fahrpreise und engen Taktungen der Fahrzeuge sind genau das, was wir uns in Deutschland wünschen; bisher jedoch leider erfolglos.

Die Wissenschaftliche Bibliothek der Iwan-Franko-Universität Lwiw sieht von außen eher unscheinbar, aber dafür von innen umso imposanter aus.Wir wurden dort von unglaublich herzlichen und interessierten Kolleginnen und Kollegen empfangen. So konnte ein spannender und – wie ich finde – für beide Seiten wertvoller fachlicher und kultureller Austausch stattfinden, der meinen Horizont erweitert hat.

Was läuft in Lwiw ganz anders als in Bayreuth und hat sie überrascht? Wo sind sich die Bayreuther und die Lwiwer Universitätsbibliothek ähnlich?

Julia Walz: Ich war besonders von den großen strukturellen und konzeptionellen Unterschieden der beiden Universitätsbibliotheken überrascht. So sind z. B. Aufgaben der Koordination mit anderen Bibliotheken, die in Lwiw von der Methodischen Abteilung übernommen werden, bei uns im, der Bayreuther Bibliothek übergeordneten, Bibliotheksverbund verortet. Auch wird, im Gegensatz zu Lwiw, in Bayreuth keine so intensive Forschung über die eigenen Bestände, wie beispielsweise die Erstellung von Bibliografien über bestimmte Themen-/Bestandsbereiche, betrieben. Sehr ähnlich sind sich, meiner Meinung nach, dagegen die klassischen Abteilungen der Erwerbung und Katalogisierung.

Wiltrud Toussaint: Es ist äußerst schwierig die Lwiwer und die Bayreuther Universitätsbibliothek zu vergleichen. Die Universitätsbibliothek in Lwiw blickt auf eine lange Geschichte zurück, vergleichbar in Bayern mit der Universitätsbibliothek München. Man könnte sagen, dass in Lwiw in einem zweischichtigen Bibliothekssystem (Universitätsbibliothek und viele kleine selbstständige Institutsbibliotheken) gearbeitet wird und in Bayreuth in einem einschichtigem (Zentralbibliothek und 5 umfangreichere Teilbibliotheken). Außerdem gibt es in der Ukraine keinen Zusammenschluss von Bibliotheken wie z.B. der Bayerische Bibliotheksverbund, dem die Bayreuther Universitätsbibliothek angehört. Alle dem Verbund angehörenden Bibliotheken arbeiten bei der Ausleihe, Erwerbung und Katalogisierung mit dem gleichen Bibliothekssystem und können dadurch Fremdleistungen übernehmen. In Lwiw arbeitet das Bibliothekspersonal „nur“ für die Lwiwer Universitätsbibliothek, die Universitätsbibliothek in Kyjiv erstellt für die gleichen Bücher wieder eigene Titelaufnahmen.

Überrascht war ich von der Anzahl der Open Access Zeitschriften, die auf dem OJS Server zu finden sind, und von dem Libraria-Projekt, Auf das wir leider von Deutschland nicht frei zugreifen dürfen.

Gibt es etwas, das sie aus der Lwiwer Universitätsbibliothek gerne an der Universität Bayreuth übernehmen würden?

Wiltrud Toussaint: Wenn Sie mich so fragen, würde ich gerne den „Bookwords“-Abend übernehmen. Obwohl ich weiß, dass wir dazu nicht die entsprechenden Räumlichkeiten und die passende Literatur besitzen.

Julia Walz: Das Projekt für Zeitungsdigitalisate „Libraria“ hat mich mit seiner Überregionalität sehr beeindruckt. Ich würde mir wünschen, dass es etwas Vergleichbares auch für Deutschland geben würde. Dies wäre jedoch eher eine Aufgabe für die Deutsche Nationalbibliothek und weniger für die Bayreuther Bibliothek.

Leider kann man nicht immer selbst vor Ort sein. Wo sehen Sie Möglichkeiten einer ortsunabhängigen, digital gestützten Zusammenarbeit?

Julia Walz: Ich sehe in Lwiw, genau wie in Bayreuth, noch stark die Notwendigkeit den Open Access Gedanken verstärkt an die WissenschaftlerInnen heranzutragen und diese von dieser Art zu publizieren zu überzeugen, damit das Wissen der Forschung nicht nur an den Universitäten bleibt, sondern auch für alle Interessierten der Bevölkerung zugänglich wird. Somit könnte man in diesem Bereich der Aufklärung sehr gut digital zusammenarbeiten, z. B. mit einer gemeinsamen Informationskampagne in Form von Newslettern o. ä.

Wiltrud Toussaint: Da jede der beiden Universitätsbibliotheken an ihre nationalen Strukturen eingebunden ist, sollte der Austausch über internationale Themen, die die Bibliothekswelt bewegen, erfolgen: hier bietet sich Open Access, Open Science und damit verbundene Themen an. z.B. Creative Commons Lizenzen.

Was geben sie Ihrem Kollegen, der Lwiw im Herbst besucht, mit auf den Weg?

Wiltrud Toussaint: Er kann sich auf eine spannende Woche mit sehr vielen neuen Eindrücken freuen und er wird viele nette Menschen kennenlernen.

Julia Walz: Er sollte unbedingt den fabelhaften 5-stöckigen Schokoladenladen im Stadtzentrum besuchen und eventuell eine heiße Schokolade in dem schönen Café unterm Dach der Schokoladenfabrik trinken!

 

Learnopolis.net bedankt sich herzlich für Ihre Antworten und freut sich bereits auf den weiteren Austausch zwischen den Bibliotheken.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert